Marc Kräutle
30.04.2020
Work 4.0 , Transformation , Digital Inspiration ,

Prozesse optimieren mit dem Guerilla Gardening-Ansatz?


IT zwischen Wildwuchs und Enabling

Wer weiß am besten, wie ein Prozess zu funktionieren hat? In vielen Unternehmen beansprucht die IT-Abteilung dies als Selbstverständlichkeit und kämpft um die Entscheidungshoheit. Welche Software angeschafft wird, welche Anbieter überhaupt in Frage kommen, wie die Strukturen zu modellieren sind (z.B. on premises oder SaaS) bis hin wie das Customizing eingestellt wird. In den meisten Unternehmen gibt es einen von der IT vorgegebenen Lösungsraum und klar gegliederte hierarchische Strukturen mit definierten Freigabeprozessen, an die sich die Fachabteilungen zu halten haben. Dies führt im besten Fall zu einem lückenhaften Wissen in der Fachabteilung, was eine Software über die Grundeinstellungen überhaupt an Zusatznutzen bringen kann und im extremen Fall zu einer fehlenden Akzeptanz der Mitarbeiter für die IT-Lösung und somit die Entstehung von parallelen Excel-Welten.

Aber was passiert eigentlich, wenn man solche Strukturen verändert? Wenn man das Wissen und die Entscheidungshoheit dorthin verlagert, wo der „Schmerz“ am größten ist, in den Operation Bereich? Wenn die IT Freiräume schafft, der Kreativität der Mitarbeiter einfach mal freien Lauf lässt und aktiv zuschaut, was passiert? In einem Vortrag beim automotiveIT Kongress der Fachzeitschrift automotiveIT im letzten Jahr verglich der Webasto-CIO Dr. Thomas Mannmeusel in seinem Vortrag ‚Was der digitale Wandel mit Guerilla Gardening zu tun hat‘ die Entwicklung in der IT mit dem Eigenengagement von Bürgern, einfach mal brach liegende öffentliche Flächen in Nutzflächen umzuwandeln – ohne Erlaubnis, ohne strategischen Masterplan, bottom up. Die zu Grunde liegende Frage dabei lautet: Wie können nachhaltige IT-Strategien aussehen? Und mit welcher Entwicklung müssen wir rechnen?

Dezentrales Entwickeln von Lösungsansätzen mit agilen Ansätzen
Taucht in Fachabteilungen ein Problem auf, dann finden sich bei den betroffenen Mitarbeitern meist recht schnell Lösungsansätze für den Umgang damit. In Unternehmen mit hohem Digitalisierungsgrad haben sich agile Arbeitsweisen inzwischen an vielen Stellen etabliert. Statt Lösungsansätze komplett auszuarbeiten und dann die Abstimmungsleiter herauf- und wieder herunterzudiskutieren, entwickelt man in kooperativ arbeitenden Teams mit Spezialisten verschiedener Disziplinen in Form von Sprints Ansätze, die man mit wenigen Schritten auf ihre Umsetzungsfähigkeit und Akzeptanz bei potenziellen Nutzern hin überprüft. Dazu gehört dann auch, mal eine schlanke und problemspezifische Cloud-Lösung einzusetzen statt das mächtige Softwarepaket des zertifizierten Standardanbieters. Herausforderung für die IT: Oft werden solche Lösungen außerhalb der vorgegebenen Regeln liegen.

Brach liegende Flächen über Mitarbeiter finden lassen – die sind näher dran
Die ausgewählte Analogie von Thomas Mannmeusel finde ich inspirierend: es ist wie beim Guerilla Gardening, das heute ganz harmlos Urban Gardening heißt und sich in vielen Städten durchgesetzt hat: Wer eine Brache findet, auf der er glaubt, etwas Sinnvolles machen zu können, legt einfach mal los, findet vielleicht ein paar Gleichgesinnte und entwickelt einen ersten Ansatz. Das Gute daran: Wer sein (Arbeits-)Feld kennt, kann meist recht gut einschätzen, was man aus den Gegebenheiten machen kann – vorausgesetzt man lässt ihn. Das spricht für einen bottom up-Ansatz, bei dem man das Gelände nicht von Beginn an strategisch parzelliert und nur das zulässt, was im Fünfjahresplan vorgesehen ist. Im Gegenteil: Unternehmen und IT lassen zu - nein, sie fördern sogar, dass Freiräume entstehen, in denen, wer will, eben das mit ersten Schritten ein- und umsetzt, was aus seiner Sicht Früchte trägt.

Die Idee dahinter: Mitarbeiter, die dicht dran sind, finden aufgrund ihrer Nähe zum Thema viel mehr Brachflächen als weitentfernte Strategen. Mit der richtigen Begleitung entwickeln die Mitarbeiter meist sogar selbst klare Leitplanken für das, was im Rahmen des eigenen Unternehmens grundsätzlich machbar ist und was nicht.

Klare Prozesse implementieren
Damit das alles nicht im Chaos mündet, benötigen Unternehmen auch hier klare Strukturen, mit denen sie solche Prozesse begleiten können. Die entsprechen allerdings kaum mehr den alten Hierarchien und Abteilungen. Es geht hier um die Moderation des Prozesses in einer agilen Art und Weise. Es geht darum, die Mitarbeiter Freiräume einzurichten. Werden für die Umsetzung dann Geld und weitere Ressourcen benötigt, kann zum Beispiel ein Gremium kurzfristig darüber entscheiden, welche Ansätze weiterverfolgt werden. Wichtig ist, den Mitarbeitern, die sich hier engagieren, das Gefühl zu geben, dass ihre Ideen und Ansätze wertgeschätzt werden. Das zahlt sich positiv auf die Motivation aus und unterstützt den kreativen Prozess. Wird zu viel und zu schnell und auch manchmal dogmatisch ‚abgewürgt‘, kommt der Prozess bald ins Stocken. Hinzu kommt, dass die Akzeptanz von Maßnahmen, die zu Veränderungen und Neuerungen führen, steigt, wenn die Vorschläge aus den Reihen der Mitarbeiter kommen und nicht einfach von oben verordnet werden.

IT mit neuen Aufgaben
Für die IT stehen damit freilich umfangreiche Änderungen ins Haus. Wer eine neue Idee zur Lösung eines Problems mitbringt, ist erst einmal hoch willkommen. Natürlich entstehen aus agilen Ansätzen, die plötzlich Cloudlösungen und andere Ideen auf den Tisch bringen, Problemfelder: Wie gewährleistet man die Sicherheit der Systeme? Wie wird sichergestellt, dass die Daten integriert werden und konsistent gehalten werden? Kann das System so flexibel gestaltet werden, dass es, wenn die Aufgabe gelöst ist, ebenso schnell, wie es aufgebaut wurde, auch wieder abgebaut werden kann? Während sich also plötzlich immer mehr Mitarbeiter aus Fachabteilungen Gedanken darüber machen, mit welchen technischen Mitteln man den Hürden des Alltags in der eigenen Abteilung begegnen kann, rückt die IT immer näher an die Fachabteilungen heran. Ihre neue Aufgabe ist das Enabling. Sie unterstützt kreative und fruchtbare Ideen derjenigen, die als Lösungsentwickler oder Problemlöser und nicht mehr als Antragsteller auf sie zukommen.

Thomas Mannmeusel verfolgt der Gedanke: Wer Ressourcen heben will, sollte die Menschen im Unternehmen einbeziehen, die täglich als Nutzer mit den IT-Systemen umgehen müssen, um den ihnen gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Durch die operative Auseinandersetzung von Fachbereich und IT-Abteilung entstehen viele positive Ansätze, von denen Unternehmen profitieren können und mit einer breiten Akzeptanz versehen sind.


Marc Kräutle

Marc Kräutle is an international management consultant with strong experience in the discrete industry. He is one of two Managing Directors and owners of Agamus Consult and author of this blog. For more than 15 years he has been committing to operational excellence, supply chain & lean management and (digital) transformation.

He started his consulting career in Paris, gained his first international experience by working on projects abroad and took over interim leading positions as a line manager in the automotive industry in the 2000s. In 2008 he has joined Agamus Consult Germany and did launch the initiative: Forum for Digitized Industry (www.smart-applications.com) at the end of 2017.

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