Marc Kräutle
01.08.2019
Work 4.0 , Digital Offering , Transformation ,

Ein neues Mindset - Die digitale Transformation leben


Wer als Unternehmen neue digitale Lösungen anstrebt, kommt regelmäßig mit seinen gewachsenen Strukturen in Konflikt.

Denn die lang gelebten internen Strukturen und die fehlenden Möglichkeiten der Entfaltung erlauben es oft nicht, dass über Hierarchiegrenzen hinweg genau die Mitarbeiter zusammen an Lösungen arbeiten, die dafür neue Ideen entwickeln wollen und können.

Hinzu kommt, dass im Tagesgeschäft oft die Muße fehlt, sich damit zu beschäftigen, wie grundsätzlich die Digitalisierung in die eigenen Prozesse eingreifen kann und wie man sich auf „Disruptionen“ vorbereiten soll. Disruptiv nennt man Innovationen, die bestehende Technologien, Verfahren und Prozesse obsolet machen und diese nach und nach vom Markt verdrängen. So löst etwa der 3D-Druck mit Kunststoff und Stahl immer mehr die komplizierte manuelle Fertigung einzelner Maschinenteile für Reparaturen und die halbautomatische Fertigung von Bauteilen für Kleinserien und Prototypen ab. Bei disruptiven Verfahren geht es weit über die reine Technologie hinaus, es geht um die nutzenstiftende Einbettung in einem Produktionssystem - mit allen dazugehörigen organisatorischen und technischen Sicherheitsaspekten. Das erfordert eine multidisziplinäre Herangehensweise, die nicht alleinige Aufgabe des Prozessingenieurs sein darf. Was hier fehlt, ist genügend Raum für die Auseinandersetzung mit solch disruptiven Technologien unter Berücksichtigung aller unternehmerischer Dimensionen. Meine Erfahrung: In vielen mittelständigen Unternehmen ist eine Masterarbeit das höchste der Gefühle – und oft ein probates Mittel, um sich des Themas zu „entledigen“. Masterstudenten sind (meistens) wertbringend, aber leider entziehen sich Verantwortliche mit der Vergabe der Arbeit dann der so wichtigen Auseinandersetzung mit dem Thema: „Ich bin doch an dem Thema dran, ich habe sogar schon eine Masterarbeit dazu vergeben!“

Predictive Maintenance zum Beispiel gehört ebenfalls zu den Themen, die man durchaus für eine Organisation als disruptiv bezeichnen kann, weil sie massiv die Arbeitsorganisation, die Mitarbeiterqualifizierung und das historische Selbstverständnis eines Instandhalters beeinflussen. Wer jedoch an solchen und anderen Ideen arbeiten will, stößt in klassischen Hierarchien oft an seine Grenzen.

Start up-Strukturen im Unternehmen: Der richtige Weg?

Ein Ansatz: Startup-ähnliche Bedingungen, bei denen hoch motivierte interne Mitarbeiter losgelöst von ihren bisherigen Strukturen, aber weiterhin in Verbindung zu einem Produktions- und Konzernumfeld, in hoher Geschwindigkeit innovative Lösungen, Produkte und Services entwickeln, mit denen das Unternehmen Prozessabläufe verbessert, Produkte optimiert, die Qualität erhöht, die Flexibilität vergrößert und neue Antworten auf die Kundenbedürfnisse findet. Die Philosophie dahinter ist im Positivismus zu finden: Erfahrungen statt Metaphysik. Für die meisten Unternehmen bedeutet die Einführung solcher Strukturen allerdings einen grundlegenden Kulturwandel. Ideen zu entwickeln und schnell auszuprobieren bedeutet eine Zunahme an Agilität, ein verändertes Denken und eine neue Art der Zusammenarbeit. Mitarbeiter müssen sich trauen, Dinge in Frage zu stellen, Neues zu denken und kreative Ansätze zu entwickeln, statt mit perfekter Ingenieurskunst jahrelang an einer 100 Prozent-Lösung zu arbeiten.

Start-up Bedingungen in einem „geschützten“ Ort mit einem überschaubaren Team. Dazu kann man auf Rezepte und Inspirationen aus dem Silicon Valley und in guter Fachliteratur wie Lean Start-up (Eric Ries) zurückgreifen. Die Slogans „Place to Fail! Move fast and break things!“ sowie das methodische Handwerkzeug lassen sich sehr gut auch in Deutschland auf kleine Arbeitsgruppen übertragen.

Digitialisierung vs. Digitale Transformation

Welche Möglichkeiten aber gibt es, um innovative digitale Lösungen zu entwickeln und dabei die bisherigen Strukturen ganzheitlich in Richtung eines modernen, digitalen Unternehmens weiter zu entwickeln? Wie vertieft man das Verständnis von Digitalisierung und Industrie 4.0 und wie verändert man das Mindset der Mitarbeiter hin zu einem agilen Unternehmen? Wie initiiert und steuert man die digitale Transformation?

Im Change Management unterteilt man die Belegschaft oft in drei Gruppen: 20 Prozent sind Pioniere, 60 Prozent Siedler und 20 Prozent Dinos. (siehe D. Vahs Lehr- und Managementbuch „Organisation“, 2003) Im oben geschilderten Start up-Ansatz findet man vorwiegend die Pioniere, die mit intrinsischer Motivation die Zukunftsthemen aufgreifen. So gelingt Digitalisierung: Leuchtturmprojekte, Proof of Concept, neue Apps usw.

Doch erst wenn die Siedler mitziehen, gelingt die Digitale Transformation. Diese Gruppe wird sich allerdings der Digitalisierung erst widmen, wenn Chancen, Nutzen und Auswirkungen auf den eigenen Arbeitsplatz erkannt sind. Dieser Prozess umfasst das gesamte Unternehmen, und funktioniert, wenn der Großteil der Belegschaft vom Top-Management bis zum Shop Floor versteht, welche Vorteile sich für das Unternehmen und jeden einzelnen Mitarbeiter daraus ergeben und keiner Angst vor Fehlern haben muss. Nur so können Digitalisierungsthemen durch alle Hierarchieebenen hin zu einer bereichs- und hierarchieübergreifenden Zusammenarbeit entwickelt werden.

Digitale Transformation als Thema in den Universitäten

Die Stanford University in der Silicon Valley beschäftigt sich selbstverständlich auch mit dem Thema „Management der digitalen Transformation“ und bietet „Entrepreneurship“ als den Weg zur Mobilisierung der internen Ressourcen. Mit der Etablierung eines Entrepreneur-Geists und der Förderung der Kreativität kann man die Siedler gewinnen. Die Konzepte und Lehrinhalte sowie meine Einschätzung und Erfahrung dazu, und zur Übertragung in die westeuropäische Industrie werden Thema eines späteren Blogs sein.

Mercedes Werk-Bremen: Inspiration für Alle

Im Rahmen unseres Automotive Lean Awards, den wir zusammen mit der Zeitschrift Produktion seit 2006 initiieren, waren wir im letzten Jahr bei einem der Award-Gewinner von 2017, dem Mercedes-Benz Werk in Bremen, zu Gast. Hier konnte man vor Ort erleben, wie sich ein großes Unternehmen auf Digitalisierungsthemen einstellt. Zur Werksführung gehörte ein Einblick ins so genannte „Digital Factory Lab“. Ziel ist es hier, Digitalisierungsthemen über alle Unternehmensebenen hinweg anzustoßen und dabei die kreative Zusammenarbeit bereichs- und hierarchieübergreifend zu fördern. Die Basis dazu: Einbindung aller Mitarbeiter des Unternehmens, flache und einfache Entscheidungsstrukturen, die Möglichkeit, vielversprechende Vorschläge in kurzen Schritten zu entwickeln und so einerseits gänzlich neue Ideen und andererseits konkrete Problemlösungen anzugehen.

In meinen nächsten Artikeln werde ich auf diese Ansätze genauer eingehen und zeigen, was Unternehmen davon lernen können.


Marc Kräutle

Marc Kräutle is an international management consultant with strong experience in the discrete industry. He is one of two Managing Directors and owners of Agamus Consult and author of this blog. For more than 15 years he has been committing to operational excellence, supply chain & lean management and (digital) transformation.

He started his consulting career in Paris, gained his first international experience by working on projects abroad and took over interim leading positions as a line manager in the automotive industry in the 2000s. In 2008 he has joined Agamus Consult Germany and did launch the initiative: Forum for Digitized Industry (www.smart-applications.com) at the end of 2017.

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