Marc Kräutle
29.04.2019
Geschäftsmodelle , Transformation ,

Digital Operations


So erhöhen Sie bei der digitalen Transformation Stück für Stück den Reifegrad Ihrer Geschäftsprozesse, der Maschinen und Anlagen sowie der IT.

„Digitalisierung für Nachzügler“ heißt ein kleines Büchlein, das es seit Anfang 2018 im Handel gibt. Der schöne Titel macht eins klar: Wer sich immer noch nicht damit auseinandersetzt, wird bald abgehängt sein. Immer wieder drehen sich allerdings Gespräche mit Werkleitern und Unternehmern um einen zentralen Punkt: Rechnen Sie mir doch mal aus, was das wirklich bringt. Und: Wann rechnet sich das? Gefragt wird nach dem Return on Investment.

Zugegeben: Die Zahlen sind nicht ganz frisch. Dafür aber spannend. Das Weltwirtschaftsforum (WEF) hat im Mai 2018 eine Studie zum Return on Investment bei Digitalisierungsprojekten veröffentlicht, die man gemeinsam mit der Unternehmensberatung Accenture für die Jahre 2016 und 2017 erhoben hat. Die Studie zeigt, dass sich Investitionen in Robotik, IoT, KI, Data Analytics und Social Media durchaus rechnen. Die Quintessenz: Jeder Dollar, der pro Mitarbeiter investiert wird, erwirtschaftet bei den Industry Leaders 1,7 Dollar. Die Follower kommen immerhin noch 1,3 Dollar. Und die Studie geht von einer Erhöhung der durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von Investitionen in Digitalisierungsprojekte von 13 Prozent aus.

Wir haben diese Zahlen mit denen aus unserer jährlichen Benchmark-Studie in der Automobilindustrie verglichen, die wir im Rahmen des „Automotive Lean Production- Award & Study“ jährlich in Zusammenarbeit mit der Fachzeitschrift AUTOMOBIL PRODUKTION erheben. Hier fragen wir unter anderem die Effekte von Lean und Digitalisierung ab. Der Vergleich ist spannend, weil wir dabei Unternehmen befragen, die sich bereits grundsätzlich mit Lean Production als Voraussetzung für Digitalisierungsprojekte befassen.

Wir haben unter anderem nach dem Anteil der Digitalisierungsprojekte gefragt, die zur Freigabe mit einem ROI bewertet wurden. Er liegt bei den Low Lean Performern (LLP) bei 25 Prozent, bei den Mid Lean Performern (MLP) bei 55 Prozent und bei den High Lean Performern (HLP) sogar bei 70 Prozent. Wir sprechen von HLP, wenn das teilnehmende Werk beim Implementierungsgrads der Lean-Bausteine sowie bei der Value Stream Performance -Reifegrad in der Spitzengruppe liegt. Das Ergebnis zeigt, dass der ROI sicher eine Rolle spielen sollte. Dass aber auch andere als rein wirtschaftliche Faktoren bedeutsam sind, wenn es um Investitionen in das Thema Digitalisierung geht.

Während bei den LLP vor allem das Gewinnen von ersten Erfahrungen mit kleinen und überschaubaren Projekten im Vordergrund steht, haben die HLP solche Erkenntnisse bereits vielfach gesammelt. Die Learnings fließen in neue Projekte ein, die meist entsprechend komplexer sind und die dann nicht nur der Optimierung einzelner Maschinen oder Prozess-Schritte, sondern ganzer Prozesse dienen können. Es gibt aus meiner Sicht vor allem drei Gründe, die zeigen, warum selbst bei den am besten aufgestellten Unternehmen immer noch 30 Prozent der Projekte nicht nach einem direkten Kosten-Nutzen-Faktor evaluiert werden.

Punkt 1: Grundsätzliche strategische Ansätze brauchen nicht immer einen ROI, wenn Entscheider von der Richtung überzeugt sind. Das war bei den Anfängen von Lean dasselbe. Vor allem die Idee, den Kunden ins Zentrum zu rücken, ist zunächst einmal eine Frage der Philosophie. Und die Identifikation des Wertstroms ein Schritt, der Transparenz bringt. Auch wenn sich ein ROI hier kaum sauber rechnen lassen dürfte, liegen die Vorteile doch auf der Hand.

Punkt 2: Die präzise Zuordnung von Kosten zu einem bestimmten Prozess fällt bei komplexen Projekten oft schwer.

Punkt 3: Die Umsetzung digitaler Veränderungen und Innovationen erfordert Zeit, benötigt Lernschleifen und zu Beginn oft viel Kapital. Gewinne, etwa aus dem Versuch, neue Produkte und Dienstleistungen zu generieren, entstehen oft erst mittel- und langfristig.

Welche Kenngrößen sollten Unternehmen neben dem ROI noch in den Blick nehmen? Mitte 2017 schrieb das CIO-Magazin mit Verweis auf eine Gartner-Studie, dass mehr als die Hälfte der CEOs und Topmanager keine Metriken für den digitalen Umbau besitze. Hierzu gibt es natürlich eine ganze Reihe von Ansätzen. Folgende fünf Punkte gehören für mich ganz wesentlich dazu:

Der Lean-Reifegrad: Robuste und transparente Prozesse. Je besser ich meine Stärken und Schwächen kenne, desto punktgenauer kann ich agieren. Dazu gehört auch die Veränderungsgeschwindigkeit, also ein höheres Momentum bei Veränderungen. Das bezieht sich nicht nur auf reine Lean-Aktivitäten, sondern wirkt sich auch auf eine zielgerichtete Digitalisierung aus. Den Reifegrad kann man unter anderem über bestimmte Kennzahlen gut messen, etwa indem man regelmäßig die Gesamtanlageneffektivität, Bestände, Durchlaufzeiten, Arbeitszeiten oder die Mitarbeiterzahl erhebt.

Der Mensch ist beim Thema Lean ein entscheidender Faktor, deshalb sollten Unternehmen gerade bei Digitalisierungsthemen, die Unsicherheit erzeugen, ihre Mitarbeiter stärker einbinden und trainieren. Die Mitarbeiter sollten für Fehler und Verschwendung sensibilisiert werden. Zugleich ist es wichtig, die Motivation zu erhöhen und ein Verständnis für die kontinuierliche Verbesserung zu schaffen. Auch diese Entwicklung kann und sollte man regelmäßig messen.

Integrierte Roadmap: Wie auch beim Einführen der Lean-Aktivitäten wird das Scheitern der Digitalisierung speziell bei den MLP und LLP oft einer falschen Einführungsstrategie zugerechnet. Der Schlüssel ist ein auf das Werk zugeschnittener Plan, priorisiert und ergebnisorientiert. Die Lean- & Digitalisierungsthemen sollten in einer werkspezifischen Roadmap zusammengefasst werden.
In einer integrierten Roadmap geht es um die langfristige Ausrichtung. Meine Erfahrung: Man muss hier visionär sein können und sich nicht nur mit dem Klein-Klein beschäftigen. In Perspektiven denken ist gefragt: Nicht nur was sich kurzfristig rechnet, ist gut. Kenngrößen ergeben sich dann direkt aus den vereinbarten Zielen, die jeweils messbar gestaltet sein sollten.

Technologie-Verständnis: Sie kennen vielleicht die Aussage: „Wir haben doch alle wichtigen Lean-Methoden - aber das Management und die Mitarbeiter verstehen sie nicht“. Das verhält sich bei der Digitalisierung ähnlich. Wer kein Technologie-(Grund-)verständnis hat, der kann diese neuen Technologien nicht richtig einsetzen. Für Digitalisierung gilt deshalb ein klares: Ja - aber mit Verstand. Schulungen, Trainings, Anwendungsbeispiele gehören zu den täglichen Aufgaben, mit denen der Know-how-Zuwachs im Unternehmen gelingt, sofern diese Initiativen rollenspezifisch gestalten werden und nicht nach dem Gießkannenprinzip. Auch die Entwicklung des Wissens der Mitarbeiter auf allen Ebenen lässt sich mit verschiedenen Tools gut messen (z.B. in Form von Qualifizierungs-Matrixen)

Chefsache: Wie auch bei den Lean-Aktivitäten ist Digitalisierung Chefsache. Erfolgsgeschichten beginnen sehr häufig mit einem überzeugten Werkleiter, der seine Vision und Begeisterung für diese Themen teilen kann. Klären Sie: Wie viel Unterstützung haben Lean- und Digitalisierungsaktivitäten auf der Führungsebene Ihres Unternehmens? Beschränken sie sich dabei nicht auf den Bereich Operations. Wie steht Finance dazu? IT? Personalabteilung?

Zudem können Investitionen in die Digitalisierung ein wichtiges Signal für die Zukunftssicherheit des Unternehmens an die eigenen Mitarbeiter sein, sie können die Kultur verändern (siehe mein letzter Artikel) und die Zufriedenheit steigern, das ließe sich über die Messung der Mitarbeiterzufriedenheit messen. Und auch die Optimierung der Produktqualität etwa durch Assistenzsysteme muss sich nicht gleich im ROI niederschlagen, kann aber die Wettbewerbsposition stärken.

Die Erfahrung unserer High Lean Performer zeigt, wie es geht:
1. Gehen Sie schrittweise vor. Definieren Sie ein erstes kleineres Projekt mit einem klaren Ziel, das im besten Fall nicht nur quantifizierbar sondern auch skalierbar ist. Dabei kann es sich in der Produktion zum Beispiel um die softwaregestützte Optimierung der Rüstzeiten an einer Maschine durch ein APS-System (Advanced Planning and Scheduling-System) handeln, mit dem die Reihenfolge der zu fertigenden Aufträge verändert wird. Oder Sie optimieren Fertigungskosten, Durchlaufzeiten, Termintreue oder die Kapazitätsauslastung. Ein überschaubares Projekt mit guten Erfolgsaussichten ermöglicht Erfahrungen und eine positive Einstellung zum Thema.

2. Legen Sie kurzfristige Feedbackschleifen ein, um Learnings zu beschreiben und Verbesserungen für den nächsten Durchlauf mitzunehmen. Fehlertoleranz gehört dazu.

3. Treiben Sie den Prozess der digitalen Transformation bewusst auf technischer, finanzieller und organisatorischer Ebene voran. Nur im Zusammenspiel der drei Faktoren können Sie den Reifegrad der Digitalisierung im Unternehmen erhöhen.

4. Trainieren Sie Ihre Mitarbeiter und verändern Sie das Denken auf der Führungsebene. (z.B. in unserem Agamus Digital Bootcamp.)

5. Nutzen Sie die Erfahrungen anderer Unternehmen, indem Sie über Plattformen wie www.smart-applications.com mögliche Partner für die Digitalisierung von Prozessen und die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle zu finden.

Am Ende dieser Entwicklung stehen dann Smart Digital Operations, also durch Smart Solutions unterstützte Geschäftsprozesse, die entscheidend das Geschäftsmodell prägen.


Marc Kräutle

Marc Kräutle is an international management consultant with strong experience in the discrete industry. He is one of two Managing Directors and owners of Agamus Consult and author of this blog. For more than 15 years he has been committing to operational excellence, supply chain & lean management and (digital) transformation.

He started his consulting career in Paris, gained his first international experience by working on projects abroad and took over interim leading positions as a line manager in the automotive industry in the 2000s. In 2008 he has joined Agamus Consult Germany and did launch the initiative: Forum for Digitized Industry (www.smart-applications.com) at the end of 2017.

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