Marc Kräutle
28.10.2018
Operations Excellence ,

The first rule of technology


Wenn man bedeutsame Wahrheiten vermitteln will, dann sucht man sich im besten Fall einen berühmten Zeitgenossen und schiebt ihm ein sinnfälliges Zitat unter.

Wenn das Zitat gut gewählt ist und der Zeitgenosse noch lebt, wehrt er sich meist zunächst dagegen. Irgendwann gibt er gemeinhin auf und das Zitat wird seiner Person einfach zugeordnet. „640 k ought to be enough for anybody“ ist solch ein Zitat aus der Frühzeit der Computerentwicklung. Gesagt hat das angeblich Bill Gates im Jahr 1981. Es steht in jeder besseren Zitatensammlung – und Bill Gates hat seine Urheberschaft stets bestritten. Mein Lieblingszitat von Bill Gates ist allerdings ein anderes, für das ich ebenfalls keine Quelle ausfindig machen kann. Es kursiert unter dem Titel „Two Rules of Technology“ und die Wahrheit dahinter finde ich tatsächlich bestechend:

“The first rule of any technology used in a business is that automation applied to an efficient operation will magnify the efficiency. The second is that automation applied to an inefficient operation will magnify the inefficiency.”

Es entspricht tatsächlich meiner täglichen Erfahrung bei der Optimierung von Prozessen in der Supply Chain und der Produktion: Wer mit Digitalisierung seine Probleme lösen möchte, wird scheitern. Wer dagegen seine Effizienz steigern möchte, findet in der Digitalisierung eine große Chance. Das bedeutet anders herum: Wer digitalisieren will, sollte sich zunächst mit den Erfolgsfaktoren auseinandersetzen, die für die Digitalisierung bedeutsam sind.

Liest man einschlägige Artikel zum Thema, dann findet man etwa die sieben Erfolgsfaktoren für Digitalisierung, zu denen Künstliche Intelligenz, Big Data, Cloud Computing, API-Ökonomie und einiges mehr gehören. Das ist ein sehr technischer Ansatz, der auch seine Berechtigung hat. Oder man nähert sich dem Thema wissenschaftlich wie in dem aktuellen Beitrag „Erfolgsfaktoren von Digitalisierungsprojekten“ von Christian Leyh und Nico Meischner in der Zeitschrift ERP Management 14 (2018). Das Problem hier: Die Autoren identifizieren 25 Faktoren für den Erfolg. Das Modell bietet viele interessante Anhaltspunkte in der Unternehmenspraxis ist ein solch komplexer Ansatz allerdings nur sehr bedingt nützlich.

Die grundsätzliche Frage bleibt: Gibt es nicht ganz pragmatisch ein paar wesentliche Erfolgsfaktoren, auf die ich als Unternehmer zu allererst meinen Blick richten muss? Die Antwort lautet: Es gibt sie. Bringt man sie auf einen Nenner, lauten aus der Praxis die beiden wichtigsten Mindestvoraussetzungen:
1. Stammdatenqualität und 2. robuste Prozesse.

Fast 70 Prozent der Befragten heben genau diese beiden Punkte ‚(Stamm-) Datenqualität‘ und ‚robuste, fehlerfreie Prozesse‘ als wichtigste Erfolgskriterien für eine erfolgreiche Digitalisierung hervor, noch vor den Punkten ‚Qualifikation/Digitale Kompetenz‘ und ‚Messbarkeit von Verbesserungen‘ mit jeweils knapp 60 Prozent und ‚Erstellung eines Business Cases‘ (50 Prozent) und ‚Anpassung/Erneuerung der Infrastruktur‘ mit gut 40 Prozent.

Stammdatenqualität und robuste, fehlerfreie Prozesse: Es ist tatsächlich so einfach. Große Konzerne sind betroffen und ich konnte auch feststellen, dass dort mit diesem eigentlich trivialen Thema gekämpft wird. Im industriellen Mittelstand ist es, wie zu erwarten, noch schlimmer, wie ich bei einem – eigentlich sehr erfolgreichen - Elektronikkomponentenhersteller (Tier 2) im Rahmen eines Assessment zur digitalen Fabrik feststellen konnte. Wie also Handlungsfelder und Digitalisierungsroadmap entwickeln, wenn sich herausstellt, dass wichtige Grundlagen für die Digitalisierung fehlten – zu allererst die Stammdatenqualität?

Diese Qualität der Stammdaten, also etwa Arbeitspläne und Stücklisten, muss zu praktisch 100 Prozent der Realität entsprechen. Nur wenn Daten vorhanden, auf dem aktuellen Stand und schnell verfügbar sind, wenn die Prozesse der Datenerhebung standardisiert sind und die Datenexporte fehlerfrei funktionieren, können die Daten systematisch analysiert werden, damit sie, wenn sie ins kennzahlenbasierte Reporting zur Unternehmenssteuerung einzufließen, dort auch korrekte Ergebnisse zeigen. 

Also fragen Sie sich: Gibt es in Ihrem Unternehmen bereits eine klare Kultur der (Stamm-)Daten? Ist Ihr existierendes Reporting heute schon hoch standardisiert und visualisiert (z.B. über ein Kennzahlen-Cockpit)? Ist es übersichtlich und vollständig?

Punkt zwei betrifft die fehlerfreien Prozesse. Das bedeutet zunächst, sich um eine möglichst schlanke Produktion zu kümmern. Bei meinem Kunden wird das Thema MES – Manufacturing Execution System – intensiv besprochen als Heilmittel für die Verschwendung in shopfloornahen Abläufen. Und hier greifen die beiden Themen ineinander: Nur mit stabilen und dokumentierten Prozessen und mit vollständigen Daten und einer hohen Datenqualität lässt sich ein MES oder ein anderes Steuerungssystem überhaupt erfolgreich einführen.

Das Nachdenken über Automatisierung und Digitalisierung ist dann sinnvoll und erfolgversprechend, wenn die zugrunde liegenden Prozesse in bestmöglicher Weise bereits optimiert sind. Es ist ganz so, wie Bill Gates es formuliert haben soll: “The first rule of any technology used in a business is that automation applied to an efficient operation will magnify the efficiency.”


Marc Kräutle

Marc Kräutle is an international management consultant with strong experience in the discrete industry. He is one of two Managing Directors and owners of Agamus Consult and author of this blog. For more than 15 years he has been committing to operational excellence, supply chain & lean management and (digital) transformation.

He started his consulting career in Paris, gained his first international experience by working on projects abroad and took over interim leading positions as a line manager in the automotive industry in the 2000s. In 2008 he has joined Agamus Consult Germany and did launch the initiative: Forum for Digitized Industry (www.smart-applications.com) at the end of 2017.

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